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Krieg und Normalität 10 Reportagen aus Lwiw, Ukraine

Stirb langsam, Putin

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Auch auf den Bühnen von Lwiw ist der Krieg angekommen. Doch er wird irgendwann enden. Da sind sich Künstler und Publikum einig. Und dann beginnt die Zukunft.

Von
Florian Bayer

Fotos
Andreas Gregor

Putins Tod dauert ungefähr 20 Minuten. Er wird vergiftet, erschlagen, erwürgt, ersäuft, erschossen. Grotesk, makaber, irrwitzig. Auf den Todeskampf folgt sanfte Musik. Dann tosender Applaus.

Das Stück im Teatr Lesi am Rand der Innenstadt von Lwiw heißt „Wie ich den Krieg getroffen und Putin fast getötet habe“. Die Premiere war am 6. Juli, gut fünf Monate nach Kriegsbeginn. Ein paar Tage zuvor schoss Putin Raketen auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk, weit fernab der Front, 20 Zivilisten starben. Einen Tag später wurde bekannt, dass russische Truppen das größte Atomkraftwerk Europas, Saporischschja, eingenommen hatten.

An diesem 26. September wird das Stück zum letzten Mal gespielt. „Ich fühle mich wahnsinnig müde vor Vergnügen“, sagt Regisseur Artem Vusyk hinterher. Nach Zehntausenden Toten, nach Butscha, Hostomel, Mariupol, ließ er Wladimir Putin sterben. Ein- für allemal.

Regisseur Artem Vusyk

Regisseur Artem Vusyk, Sascha Shay (v.l.n.r.)

Die Rahmenhandlung birgt keine Überraschungen. Putin muss sterben, nur wie? Auf normalem Weg unmöglich, letztlich aber ganz leicht mittels dunkler Magie. Das alles ist natürlich Unsinn und ziemlich nebensächlich. Im Zentrum steht vielmehr die Innenwelt des ihn tötenden Protagonisten, der von Regisseur und Autor Vusyk auch auf der Bühne verkörpert wird. Er reflektiert über die falsche neue Normalität, über Flucht, Tod und Hass.

Das Stück ist autobiographisch, Vusyk floh am ersten Kriegstag von Charkiw nach Lwiw. Auch Sascha Shay, der Putin spielt, floh in die Westukraine, er kommt aus Kiew.

Als Putin nach langen Qualen endlich stirbt und die letzten Zuckungen enden, schlägt die Band nochmal ruhige Töne an.

Es folgt ein Epilog über das Leben in einer fremden Stadt, deren Schönheit Vusyk sieht, aber nicht spürt. Stattdessen nur die Leere im Inneren. Und doch: Das Leben geht weiter. „Slawa Ukrajini“, heißt es am Ende, „Ruhm der Ukraine“.

Erschreckend schnell fiebert man beim Tod eines realen Menschen mit, lässt den Hauch von Katharsis und offenbare Verrohung im eigenen Denken zu. Ob Regisseur Vusyk nicht befremdlich findet, dass sich das Publikum am Tod eines Menschen erfreut? Nein, Putin tot sehen zu wollen, und sei es durch Strafe nach einem Gerichtsprozess, dafür schämt er sich nicht. Das Stück sei als das zu verstehen, was es ist: Eine Stellungnahme zu Putin und seinem Land.

Die Grautöne verschwinden offenbar in Zeiten des sinnlosen Sterbens. In denen Abschüsse von Panzern und Soldaten mit Hardrock unterlegt und tausendfach geteilt werden. In denen tagtäglich Hunderte auf beiden Seiten sterben, Zivilisten mit Raketen beschossen werden, Millionen im Dunkeln sitzen. Und das alles, weil der Mann im Kreml es befiehlt.

Personifiziert wird das Scheusal von Shay. Er spielt den schlaksigen Diktator grotesk überzeichnet, mit hässlicher Maske. Putin bewegt sich ruckelig, lacht diabolisch, ist nur zu animalischen Lauten fähig. Und stirbt auf eine Weise, die Quentin Tarantino auch nicht besser inszenieren könnte. Das Blut fließt in Strömen, die Gewalt ist explizit, dazu eine irre Kakophonie.

Rechtschaffen müde ist Shay hinterher, als er im Publikumsraum Platz nimmt und seinem Regisseur und Bühnenmörder ein wenig widerspricht.

„Wir wünschen uns nicht direkt, ihn kaltzumachen. Vielmehr wollen wir diese Person, die angeblich so groß und majestätisch ist, klein machen, auslachen.“

„Wir wünschen uns nicht direkt, ihn kaltzumachen. Vielmehr wollen wir diese Person, die angeblich so groß und majestätisch ist, klein machen, auslachen.“

Artem Vusyk

Am Anfang hatte Shay überlegt, ob ihm seine Rolle nicht irgendwann zum Verhängnis werden könnte. Er fürchtete, dass der Kreml das Stück als Handlungsanweisung zum Mord des russischen Präsidenten interpretieren und deshalb die Stadt Lwiw beschießen könnte. Die Sorge verwarf er wieder. Wichtiger war ihm die Frage: Sollen wir wirklich Theater spielen oder nicht doch etwas anderes mit unserer Zeit anstellen, die Armee unterstützen?

Alle acht Lemberger Theater hatten in den ersten Kriegstagen ihre Bühnen, Werkstätten und Keller für Geflüchtete geöffnet, die meisten für viele Monate. Jeder freie Fleck war mit Hilfspaketen aufgefüllt, auch im Theater Lesi. Dann aber stellte sich die Frage: Braucht es nicht doch Kunst?

Es brauchte sie. Früher als andere Häuser machte das Lesi wieder auf. Das Publikum kam zahlreich, was durchaus nicht abzusehen war.

„Es ist wichtig, weiterzumachen. Der Krieg ist auch ein Krieg gegen unsere Nation. Wir müssen um unsere Kultur kämpfen“

Sascha Shay

Längst thematisieren auch die anderen Lemberger Theater den Krieg. Das Marionettentheater bringt ein Kammerspiel im eigenen Luftschutzkeller. Dort verschwimmen schon mal Realität und Aufführung – bei realem Luftalarm kann hier weitergespielt werden. Das Les Kurbas Akademietheater wiederum strich, nach 20 Jahren und schweren Herzens, Dostojewskis „Schuld und Sühne“ vom Spielplan.

Aktuell pausiert das Stück um Putins Tod. Das Theater Lesi widmet sich in anderer Form dem Krieg: „Imperium Delendum Est“ bringt aktuelle Gedichte ukrainischer Poeten auf die Bühne. Hier in Lwiw, aber auch auf Festivals in Frankreich, Polen und Köln, um die ukrainische Perspektive auch ins Ausland zu bringen. „From Germany With Love“ wiederum beschäftigt sich mit den Themen Grenzen und Flucht.

Flucht wird Thema bleiben, gerade hier in Lwiw. Das Leben könnte so leicht sein, zwischen den Kaiserzeitbauten und den Kastanienalleen, heißt es auch im Putin-Stück. Auf den Plätzen der Stadt, wo die Leute Händchen haltend spazieren oder in den Altwiener Kaffeehäusern sitzen. Doch es fühlt sich falsch an, finden viele, selbst im Spätsommer, als wochenlang keine Sirenen heulten.

Für das Duo ist klar: Sie machen weiter. Vusyk in seinem eigenen kleinen Theater, das er zwischenzeitlich in Lwiw gegründet hat. Und Shay als Schauspieler in seinem Stammtheater in Charkiw, wohin er inzwischen zurückgekehrt ist.

Beide wissen: Der Krieg wird irgendwann zu Ende sein. Dann wird wieder Normalität einkehren. Das ist auch die Schlussbotschaft des irren Stücks: Es gibt eine Zukunft. Für die Ukraine und ihre Menschen.

Nur nicht für Wladimir Putin.

Florian Bayer

Florian Bayer

florian_bayer@gmx.at