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Krieg und Normalität 10 Reportagen aus Lwiw, Ukraine

Was zu lachen

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Putins Gesicht klebt auf Zielscheiben, Klopapier und Mülleimern. Und in den Kabarettkellern der Stadt reißen Komödianten ihre Witze über ihn.

Von
David Holzapfel

Fotos
Andreas Gregor

In einem Keller im Herzen Lwiws steht ein Mann und hält eine AK-47 im Anschlag. Kalte Neonröhren erhellen den Raum, Tarnnetze und grüne Tücher kleiden die Wände. Den Rücken rund, den Mund vor Konzentration verzerrt, zielt der Mann auf das Gesicht von Wladimir Putin. Er legt den Finger auf den Abzug, atmet tief ein und behält die Luft in seinen Lungen. Dann drückt er ab, acht Mal.

„Sehr gut“, sagt Maksym und klopft dem Mann auf die Schulter. Er geht an die Stirnseite des Schießstands und reißt die Din-A4-große Zielscheibe aus Papier von der Wand. Der russische Präsident lächelt ihm darauf entgegen. Die Stahlkugeln des Luftgewehrs haben acht centgroße Löcher in seine Putins Stirn und Augen geschlagen. „Wenn wir Putin schon in Echt nicht erschießen können, machen wir es eben hier“, sagt Maksym zu dem Schützen. Beide lachen tief und laut.

Makysm ist ein schwerer Mann in Tarnklamotten. Er heißt eigentlich anders, seinen echten Namen will er nicht öffentlich machen. An der Front bei Kharkiv, erzählt er, sei er Scharfschütze gewesen; so erfolgreich, dass die Russen ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hätten. Jetzt, wo er wieder in Lwiw sei, wolle er den Menschen mit seinem Schießstand eine kleine Freude machen. Maksym sagt: „Wenn sie Putin erschießen, ist das ein großer Spaß. Die Menschen lachen sehr.“

Lwiw, im Westen der Ukraine gelegen, ist bislang von größerer Zerstörung bisher verschont geblieben. Doch auch hier bestimmen gelegentliche Luftalarme, Trauerfeiern für gefallene Soldaten und Nachrichten von der Front den Alltag. Doch selbst wenn um sie herum Krieg herrscht, die Menschen wollen sich das Lachen nicht verbieten lassen. Nur ist es ein anderes Lachen als vor dem 24. Februar. Eines, das einem als Fremden mitunter im Halse stecken bleibt.

Auf einem Flohmarkt unweit der Altstadt haben an einem sonnigen Tag im Spätherbst zwei Dutzend Händler ihre Stände aufgebaut. Auf Holztischen und unter weißen Faltpavillons bieten sie ihre Waren an: Ikonen von Heiligen, ukrainische Fahnen und T-Shirts mit aufgedruckten Sprüchen gegen die Russen.

Lydia zeigt T-Shirts, die sich besonders gut verkaufen: „Danke Gott, dass ich kein Russe bin“, steht auf einem, oder: „Wir haben einen Traum“, darunter das Bild des brennenden Kreml.

Beliebt sei auch Klopapier mit dem Gesicht von Putin. Daneben steht: „Für den Arsch.“

Eine ukrainische Firma stelle es her. „Viele Geflüchtete aus anderen Teilen der Ukraine kaufen das Klopapier“, sagt Lydia.

Beinahe alle Souvenirläden der Stadt bieten mittlerweile Scherzartikel an mit Bezug zum Krieg. Ein ukrainischer Traktor zieht einen liegengebliebenen russischen Panzer; ein ukrainischer Soldat zeigt dem russischen Kriegsschiff „Moskwa“ den Mittelfinger. Ihren Hass auf die Russen drucken die Ukrainer auf T-Shirts, Tassen und Briefmarken. „Ein Teil der Erlöse geht an die Streitkräfte. Und wir haben ein bisschen was zu lachen“, sagt die Verkäuferin eines Souvenirladens in der Altstadt.

Ein Kabartett-Abend in einem Comedy-Club in Lwiw. „Wenn ich nach Lwiw komme, fühle ich mich wie im Ausland.“ Eine junge Frau mit Locken steht auf einer schmalen Bühne im Scheinwerferlicht und blickt erwartungsvoll in die Menge. „Regen wie in England, Mietpreise wie in Deutschland.“ Der kam gut, das Publikum lacht und klatscht.

Aus den Lautsprechern schallen Nirvana und andere westliche Hits. Etwa 50 Menschen sind gekommen, die meisten von ihnen sehen aus wie Studenten. Sie essen Cheeseburger und Sushi und lachen über das, was den Nachwuchskomikern an diesem Abend so in den Sinn kommt. Oft geht es um Alltägliches wie Sex, Familie oder Arbeit. Nicht selten aber handelt es vom Krieg.

„Woran erkennt man den Unterschied zwischen einem Müllsack und einem russischen Soldaten?“, fragt ein Mann mit Fünftage-Bart und Schlabberpulli.

„Der Müllsack erschießt keine wehrlosen Kinder.“ Lautes Gelächter.

Die „Cult Comedy Hall“ ist ein Schlauch aus Backsteinen und Belüftungsrohren, rund zwei Meter unter der Erde gelegen. Der Raum gilt als Bunker, sodass die Show auch bei einem Luftalarm weiter gehen kann. Beinahe jeden Abend treten Comedians auf der kleinen Bühne auf, mal mit mehr, mal mit weniger politischem Programm. Einen Teil der Einnahmen spenden die Betreiber an die ukrainischen Streitkräfte.

„Das Leben muss ja weitergehen“, sagt Mariia Mytsouda nach der Show. Sie ist 19 und hatte gerade den ersten Comedy-Auftritt ihres Lebens. „Es ist so wichtig, dass wir zusammenhalten und auch einmal gute Laune haben.“

Vielleicht, sagt sie, sei es dabei auch ein bisschen egal, was da auf der Bühne genau erzählt wird. Vielleicht will das junge Publikum einfach lachen in einer Zeit, in der die Tragik den Humor um Längen zu schlagen scheint.

Die Ukraine hatte lange eine eher unbedeutende Comedy-Szene, und sie ist kaum vergleichbar mit der deutschen und amerikanischen. Es gibt keine Warm-up-Künstler und nur selten steht ein Mensch allein auf der Bühne.

Das Land hat genau einen Komiker hervorgebracht, der internationale Berühmtheit erlangt hat: Es ist jetzt Präsident.

Vor dem Angriffskrieg war russischsprachiger Humor im Land sehr beliebt. Das russische Kulturlabel „Lablecom“ etwa generierte mit seinen YouTube-Videos rund 30 Millionen Aufrufe. Jetzt meiden die meisten Ukrainer das Label, Videos aus Russland, die nach dem 24. Februar erschienen sind, haben nur noch einen Bruchteil der Aufrufe.

Von der Kryva-Lypa-Passage, nur wenige Gehminuten von der Cult Comedy Hall entfernt, führt ein schmaler Weg in den Oplesky Pub. An einer Wand neben der Bühne hängt das Bild eines Clowns, in roten Lettern darunter prangt der Spruch: „Why so serious?“ - Warum so ernst?

Der 31-Jährige Kolya Kapiwon arbeitet als Komiker und betreibt den Comedy-Club.

Herr Kapiwon, Sie verdienen Ihr Geld mit Humor. Haben Sie nach dem 24. Februar einmal daran gedacht, den Beruf zu wechseln?

Kolya Kapiwon: Eine zeitlang befand ich mich in einer Art Schockstarre. An Humor dachte ich erst überhaupt nicht. Ich arbeitete als Freiwilliger, ich lud Hilfsgüter um, fuhr Menschen herum. Es dauerte fast zwei Monate, bis ich wieder Witze schreiben konnte.

Welche Rolle haben Komiker im Krieg?

Ich habe gemerkt, dass der Humor ein psychologisches Polster für die Bevölkerung ist. Wenn wir etwas Schreckliches witzig verpacken, wird es lächerlich. So können sich die Menschen entspannen.

Bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn standen Sie wieder auf der Bühne. Sie traten unter anderem auch in Luftschutzkellern auf. Wie haben die Menschen auf Sie reagiert?

Ich habe einen riesigen Bedarf an Humor gespürt. Damals gab es in Lwiw viele Binnenflüchtlinge aus der gesamten Ukraine. Manche von ihnen sagten nach den Auftritten zu mir: Zum ersten Mal seit zwei Monaten habe ich wieder gelacht. Das war herzerwärmend.

Gibt es Grenzen des Humors, etwas, über das die Menschen in Kriegszeiten nicht lachen wollen?

Wir machen keine Witze über gefallene ukrainische Soldaten. Jeder von uns hat Nachbarn und Verwandte an der Front. Wie scherzen nicht über die Entbehrungen, die der Krieg dem Volk bereitet. Flugalarme sind Flugalarme und kein Witz.

David Holzapfel

David Holzapfel

david.holzapfel@gmx.net